Es war einmal …


Prolog


1898 - irgendwo in Rumänien


Der junge, braunhaarige Vampir stand mit zu der Decke geketteten Händen in der Mitte des dunklen Kellers. Er konnte nur ahnen, dass er schon mindestens 3 oder 4 Tage lang da stand. Der Wechsel von Stille und Geräuschen im Haus verriet ihm, dass es auf jeden Fall schon mehrere Tage her war, seitdem er hier - so gar nicht sanft - angekettet worden war.

Es war eine Strafe. Er wusste es genau. Aber trotzdem. Er wollte so sehr diesen verdammten Ort verlassen. Stunden-, vielleicht tagelang schrie er um Gnade. Ohne Erfolg. Seitdem ihm vom vielen Schreien der Hals wehtat, seitdem seine Stimme heiser war, stand er nur noch da und war still. Es war nutzlos nach seinem Sire zu schreien. Wenn sie ihn nicht befreien wollte, dann … dann musste er die Tatsache akzeptieren, dass er hungrig war, dass er müde war, dass die Glieder ihm höllisch wehtaten, dass er vielleicht noch tagelang da stehen musste.

Mehrmals versuchte er sich zu befreien. Erfolglos. Er hatte schon mehrere blutende Wunden an seinen Handgelenken, da, wo die Ketten sich in sein Fleisch bohrten. Wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, dann hätte er die Blutstropfen an seinen Handgelenken bestimmt abgeleckt. Er hatte kein Problem damit, wenn er sein eigenes Blut trinken musste. Aber diesmal war er nicht in der Lage, die Wunden zu erreichen. Sie waren weit weg von seinem Mund. So musste er es ertragen, dass der göttliche Geruch des Blutes den ganzen Keller durchzog. Genau jetzt, wo er so hungrig war.

Er schloss die Augen und in seinen Gedanken erlebte er wieder den Abend, an dem er die größte Dummheit seines Unlebens begangen hatte. Er hatte die Zigeuner getötet, die Darla beschützen wollte, um ihr geliebtes Childe zurück bekommen zu können. Sie wollte den Clanführer der Zigeuner überreden, Angelus’ Seele zurück zu nehmen. Und dazu hatte sie eine Geisel benutzt. Eine Geisel, die er mit Lust getötet hatte. Ihr Blut war himmlisch, köstlich, einfach unbeschreiblich. Auch jetzt noch fühlte er den Geschmack in seinem Mund. Leider, denn jetzt musste er wieder daran denken, wie hungrig er war.

Unwillkürlich zerrte er wieder an seinen Ketten und er bedauerte es sofort. Die Wunden an seinen Handgelenken wurden tiefer, seine eingeschlafenen Glieder taten ihm höllisch weh und der Geruch des Blutes wurde wieder stärker. „Warum?“, flüsterte er verzweifelt. „Warum will mich keiner von hier holen? Warum muss ich immer noch hier stehen? Warum bestrafen sie mich nicht? Warum?“, er brüllte den letzten Satz in die Dunkelheit.

„Weil ich Zeit brauchte, um alles zu arrangieren“, erwiderte eine weibliche Stimme.

„Darla?“, fragte Spike hoffnungsvoll und angstvoll zugleich. „Bist du das?“

„Ja, meine Schönheit“, sie schaltete das Licht an „Ich bin endlich bereit. Und du?“, sie näherte sich mit den Schritten eines Raubtieres dem jungen Vampir. „Bist du bereit, deine Strafe wie ein Mann anzunehmen?“

„Du … du wirst mich nicht schreien hören“, zischte Spike ihr ins Gesicht.

„Bist du sicher?“, sie lachte grausam auf.

„Mummy ist sehr – sehr böse auf dich“, erklang eine andere weibliche Gestallt von der Tür des Kellers her und sie zerrte einen erschrockenen Zigeuner mit sich. „Ich möchte jetzt nicht an deiner Stelle sein, mein lieber William“, sie stieß den Mann vor die Füße der gefährlichen Vampirin.

„Ja, meine Schönheit“, Darla berührte Spikes Gesicht, „ich bin sehr – sehr böse. Und jetzt wirst du für deine Dummheit mit deinem Leben bezahlen, William. Ich frage dich noch einmal und letztmals, bist du bereit deine Strafe anzunehmen?“

„Du willst mich töten?“, Spike lachte zwanghaft auf. Nach Darlas Aussage konnte er nur hoffen, dass sie ihn nur töten, oder zu Tode foltern wollte. Aber keine anderen Dinge, die er nie erleben wollte.

„Dich töten?“ Das satanische Lachen echote noch lang im Keller. „Oh, nein“, sie blickte mit ihren gelben Vampiraugen ihr Opfer an. „Ich habe etwas Anderes, etwas Grausameres vor. Drusilla“, sie winkte mit ihrer Hand und die wahnsinnige Vampirin hob den Zigeuner vom Boden auf. „Er“, zeigte Darla auf den Mann, „ist ein Zauberer und er wir uns helfen, unseren alten Angelus zurück zu bekommen. Nicht wahr? Nicht wahr?“ wiederholte sie die Frage, als sie keine Antwort bekommen hatte.

„Ja … ja, Miss“, stammelte der arme Mensch. „Ich … ich werde Ihnen helfen. Ich werde … ihren Partner zurückholen.“

„Na dann los, worauf wartest du noch“, schrie Darla ihn an.

„Ich … ich brauche mein Buch und meine Pflanzen, die ich gestern gesammelt und vorbereitet habe, Miss“, erwiderte der Zigeuner, dann zog er unter seinem Mantel ein Buch und einen kleinen Sack hervor. Er schlug das Buch auf, öffnete den Sack und trat vorsichtig vor den jungen, angeketteten Vampir. Er streute zermalmte, getrocknete Pflanzen auf den Kopf des braunhaarigen Vampirs und fing an unverständliche Worte zu murmeln.

„Was … was soll das heißen?“ Spike versuchte seinen Kopf wegzuziehen und blickte mit besorgten Augen Darla an. „Was will er mit mir machen? Verzaubern? Werde ich mich in ein Frosch verwandeln?“

„Oh, nein, mein Liebling“ auch Darla trat einige Schritte nach hinten. „Du wirst Angelus’ Platz einnehmen.“

„Was?“

„Ich kann den Zauber, Angelus’ Seele nicht aufheben, aber ich kann seine Seele in einem anderen Körper versetzen.“

„Nein“, schüttelte Spike seinen Kopf. „Du lügst. Das ist nur ein Trick. Du willst mich nur erschrecken.“

„In solchen Dingen kenne ich keinen Spaß. Ich will mein Childe zurückbekommen. Egal wie. Und du … du stehst mir nur im Weg. Du bist die Schande der Familie, du verursachst immer nur Chaos. Ich will nie wieder fliehen, weil du dich nicht beherrschen kannst. Nie wieder“, zischte Darla mit Verachtung in ihrer Stimme.

„Neeiin!“, zerrte Spike verzweifelt an seinen Ketten. „Neeiin!! Das kann nicht wahr sein. Ich … ich … Sire“, er blickte plädierend Drusilla an, „hilf mir. Bitte. Ich flehe dich an. Hilf mir. Beende das bitte.“

„Es tut mir Leid, mein Liebes“, Drusilla blickte verzaubert ihr Childe an. „Die Sterne sagen mir, dass Daddy zurückkommt, dass Daddy heute Abend heimkehrt.“

„Nein, nein , nein!“ Mit voller Kraft zerrte Spike an seinen Ketten. Er kümmerte sich nicht darum, dass er an seinen Handgelenken keine Haut mehr hatte, dass seine Wunden immer tiefer wurden, dass die Ärmel seiner Kleidung schon in seinem Blut schwammen. Er wollte sich befreien. Er wollte verschwinden. Seine so genannte Familie verlassen. Er zerrte und zerrte an seinen Fesseln, bis er die Kette, die seine rechte Hand befestigt hatte, aus der Wand reißen konnte. Aber bevor er seine andere Hand auch befreien könnte, fühlte er etwas Merkwürdiges, etwas Seltsames, dass er noch nie gefühlt hatte. Er wurde plötzlich schwach und schwindelig. Seine inneren Organe brannten und der Schmerz war unerträglich. Seine Beine konnten sein Gewicht nicht mehr tragen und er fiel nach vorne. Die andere Kette, die bis jetzt ausgehalten hatte, riss mit einem lauten Knallen aus und der junge Vampir landete hart auf dem Boden. Verzweifelt versuchte er sich aufzurichten, aber bei der nächsten Schmerzwelle fiel er auf die Knie, schrie schmerzhaft auf und seine Augen verfärbten sich. Einen Moment lang waren sie weiß. Nur einen Moment lang und dann fiel er bewusstlos auf dem Boden.

„Ja, ja“, klatschte Drusilla fröhlich. „Ich fühle es. Daddy kommt schon.“

„Gut“, erschien ein grausames Lächeln auf Darlas Gesicht. „Er wird bestimmt sehr – sehr hungrig sein, aber wir können ihm ein köstliches Abendessen servieren“, sie griff nach dem erschrockenen Zigeuner, dessen bewusstloser Körper auf dem jungen Vampir landete.

Fortsetzung???





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