Es war einmal


Kapitel 2


Die junge, blonde Frau war sich immer noch nicht sicher, ob sie wirklich das Richtige getan hatte. Sie schloss für einen Moment ihre Augen und sah erneut den jungen Mann vor sich. Den Mann, den sie im Keller gefunden hatte. Seine wunderschönen tiefblauen Augen hatten sie verzaubert, als er sie bittend, um Hilfe flehend angeblickt hatte.

Auch noch jetzt kämpfte sie mit der Übelkeit, wenn sie an die vielen Leichen dachte, über die sie hinweg steigen musste, um den bewusstlosen Körper erreichen und befreien zu können. Sie hatte schon viele grausame Dinge gesehen, aber bis jetzt das war das Schlimmste gewesen. Sie versuchte die von der Qual verzerrten Gesichter nicht anzusehen, konzentrierte sich nur auf den Mann, der noch lebte, den sie aus diesem grausamen Ort befreien musste. Und dann traf sie der nächste Schock. Der Mann lebte nicht mehr. Er hatte keinen Herzschlag, keine Körpertemperatur, keinen Puls. Die Kreatur vor ihren Füßen war ein Vampir.

Besorgt blickte Buffy wieder nach hinten. Irgendwie fühlte sie sich nicht sicher in seiner Gegenwart. Zum Glück lag ihr Passagier immer noch bewusstlos auf dem Rücksitz. Zumindest glaubte sie das und natürlich hoffte sie es sehr. Vom Fahrersitz aus konnte sie das nicht entscheiden. Wenn er nur atmen würde, dann … Aber ihr Fahrgast war ein Vampir und Vampire atmeten nicht.

Im ersten Moment, als sie erkannte, wer dort auf dem Boden des Vampirhauses lag, wollte die blonde Jägerin auch diesen Dämon töten. Sie hatte schon den Pflock in die Luft gehoben, dann ließ sie die Hand jedoch wieder sinken. Der Vampir war so dünn und er war in Fesseln geschlagen, die an der Wand befestigt waren. An seinen Handgelenken gab es mehrere tiefe Wunden, die der Jägerin eine Sache sehr deutlich machten – er war bestimmt schon lang dort festgehalten worden. Auf seinem Gesicht und seinem Körper konnte Buffy mehrere Schnittwunden, Brandwunden finden, die eindeutigen Spuren einer grausamen Qual. Genauso wie die anderen Opfer der Vampire, deren Tod die blonde Frau während den letzten Tagen hatte ansehen müssen.

Wer war dieser Vampir? Warum war er hier festgehalten worden? Warum wurde er so schlimm gequält? Warum lebte er immer noch und warum war er nicht schon längst getötet worden? Viele Fragen, die Buffy nicht beantworten konnte, aber die Antworten wollte sie so gern erfahren. Sie blickte sich in dem kleinen Zimmer gründlich um und ein breites Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, als sie das kleine Ding fand, was sie suchte, was sie im diesem Moment so sehr brauchte. Einen Schlüssel.

Erst hatte sie Angst, dass sie den bewusstlosen Vampir vielleicht nicht raus bringen, ihn nicht raus tragen konnte. Aber ihre Ängste schwanden, als sie den von den schweren Ketten befreiten Körper bewegte. Er war leicht wie eine Feder. Ohne größere Anstrengungen hob Buffy ihn auf und ging in Richtung der Haustür, dann näherte sie sich mit eiligen Schritten ihrem Auto. Vor dem Kampf hatte sie es in der Nähe des Vampirhauses abgestellt und jetzt musste sie ihr rotes Cabrio so schnell wie möglich erreichen, sonst würden die ersten Sonnenstrahlen den Vampir in ihren Armen zu Staub verwandeln. Wenn sie ihn wirklich retten wollte, dann musste sie den bewusstlosen Mann unbedingt in die Sicherheit ihres Wagens bringen. Die Fenster des Autos waren verdunkelt, so konnte sie ihre Ausrüstung – Armbrust, Pfeile, Axt, Pflöcke – die sie oft in ihrem Auto gelagert hatte, immer vor neugierigen Augen verstecken, wenn sie irgendwo in Aktion war.

Sie legte den blonden Vampir auf Rücksitz, trat dann schnell zum Kofferraum und nahm Handschellen und Ketten heraus. Um sich während der langen Fahrt nach Hause sicher fühlen zu können, kettete sie die Hände und Beine des Vampirs zusammen. Sie schloss die Autotür und rannte ins Haus zurück, ging sofort in die Küche, öffnete die Kühlschranktür und blickte hoffnungsvoll hinein. Mit einem breiten Lächeln auf ihren Lippen nahm sie die Blutbeutel heraus und verließ endgültig das Haus.

Sie blickte noch einmal nach hinten. Es hatte sich nichts verändert. Der Vampir lag immer noch an der Stelle, wo sie ihn hingelegt hatte. Mit einem schnellen Blick überprüfte sie, ob die Sachen, die sie während der Fahrt brauchen könnte, vorhanden waren, dann startete sie den Wagen.

*****

Das Erste, was er wahrnahm, waren höllische Schmerzen in seinem Kopf. Er wollte seine Hand heben, um die wunde Stelle an seinem Kopf zu berühren, aber er konnte sich nicht bewegen, weil die schlimmste Schmerzenwelle, die er jemals in seinem Leben und Unleben erleben musste, seinen Körper durchflutete. Es dauerte Minuten, bis er sich wieder beruhigen konnte und mit klarem Kopf erinnerte er sich an die letzten Ereignisse des Abends.

„Ich bin nicht so schwach, so jung und so naiv, wie du es denkst. Ich habe doch deine zwei Partnerinnen schon getötet.“

Eine einzelne Träne rollte auf seiner Wange herunter, während die Stimme der blonden Jägerin in seinen Ohren echote. Er konnte es immer noch nicht glauben. Sein Sire durfte nicht Staub sein. Darla war sein Leben, seine Erschafferin, seine Partnerin. Und sein Child – Drusilla? Konnte die Jägerin auch sie vernichten? Waren die zwei stärksten Vampirinnen der Welt wirklich so einfach zu besiegen gewesen?

Und er? Sie hatte ihn mit einem Pfeil töten wollen, der seinen Brustkorb getroffen hatte. Aber er „lebte“ noch. Einen Moment lang konnte er sich in Hoffnung wiegen. Vielleicht war es nur ein Traum. Ein grässlicher Traum.

„Wenn es keinen Pfeil gibt …“, murmelte er hoffnungsvoll, als er mit zitternder Hand seinen Brustkorb überprüfte. „NEEIIN!“

*****

„Oh, mein Gott!“ Buffy trat auf die Bremse, griff nach ihrem Pflock und bereitete sich darauf vor, sich verteidigen zu müssen. Sie hatte ein übles Gefühl, das sehr schnell bewahrheitete, als sie erneut nach hinten blickte. Zwei erschrockene blaue Augen musterten sie.

„Wie … wie geht es dir?“, frage sie vorsichtig. „Fühlst du dich besser?“ fuhr sie mit dem Fragen fort, als sie keine Antwort bekam. Aber dann schwieg sie lieber. Ihr Fahrgast beschäftigte sich gar nicht mit ihr. Mit seinen Augen versuchte er seine Lage, das Auto, seine Umgebung und natürlich die Führerin des Autos blitzschnell zu erfassen.

Als der platinblonde Vampir erkannte, dass er im Auto in Sicherheit war, dass ihm keiner wehtun wollte, beruhigte er sich. Seine Körperhaltung wurde langsam lockerer und er warf seinem Kopf nicht mehr hin und her. Jetzt musterte er nur eine Sache im Auto – die blonde Frau hinter dem Lenkrad. Dann hob er seine angeketteten Hände und blickte sie fragend an.

„Ah, das … das dient nur deiner Sicherheit.“

Der platinblonde Blutsauger sah erst verblüfft aus, dann hob er eine Braue in die Höhe, als ob er eben die blödeste Antwort der Welt gehört hätte.

„Ööö … ich wollte keine … Überraschung“, stammelte Buffy und blickte den Vampir entschuldigend an. „Ich will das nicht hier und nicht jetzt benutzen“, sie zeigte ihm den Pfeil in ihrer Hand. „Die Ketten sollten dich daran hindern, mich anzugreifen, wenn du … etwas Böses vorgehabt hättest.“

Er nickte nur stumm, dann zeigte er auf die verdunkelten Fensterscheiben.

„Ah, das“, lachte Buffy amüsiert auf. „Den Wagen habe ich von einem ehemaligen Vampir geerbt. Er hat den schlimmsten Fehler seines Unlebens begangen, als er sich in den Kopf setzte, mich zu töten. Sein Auto war der Preis für diese Unbedachtheit. Wie du siehst, kann ich die Vorteile des Wagens sehr gut nutzen. Mithilfe der dunklen Fenster kann ich meine Sachen, Waffen, Ketten“, sie zeigte auf die Fesseln um die Handgelenke des Vampirs, „und zum Beispiel wie jetzt auch Blut hier lagern.“

Buffy hatte ihren Satz kaum beendet, als sie den Pflock in ihrer Hand wieder verteidigend anheben musste. Die dunklen, glanzlosen Augen des Vampirs veränderten sich plötzlich; in ihnen erschien ein Schimmer: Begierde. Sein Mund war leicht geöffnet und er ließ ein tiefes, gefährliches Knurren hören. Die blonde Jägerin musterte misstrauisch den Dämon auf dem Rücksitz, aber es gab keine Anzeichen dafür, dass er sie angreifen wollte.

„Was ist passiert?“, stellte sie sich selbst die halblaute Frage. „Ich habe doch nichts getan. Wir haben eben noch miteinander gesprochen. Nein, besser gesagt ich habe ein Selbstgespräch geführt. Ich redete vom Auto, von meinen Waffen, von den Ketten und …“ sie sah sich im Auto um, „ … und von dem Blut.“

Das Knurren wurde lauter.

„Blut“, wiederholte Buffy das letzte Wort erneut und für einen Augenblick hatte sie das Gefühl, dass die blauen Augen sich verfärbt hatten. Einen Moment lang sah es so aus, als ob zwei hungrige, gelbe Vampiraugen sie gemustert hätten. „Oh, ja“, die Jägerin hob einen Blutbeutel hoch. „Hast du Hunger? Ich habe es für dich mitgebracht. Trink das“, Buffy überreichte ihm den Blutbeutel, dann schaute sie mit Begeisterung zu, wie sich das Gesicht des Vampirs blitzschnell veränderte, wie seine wunderbar blauen Augen verschwanden und seine spitze Vampirzähne erschienen.

Während der letzten Jahre hatte sie schon mehrere Vampire im Gameface gesehen, mehrere Verwandlungen, aber sie hatte noch nie die Möglichkeit gehabt die ganze Szene aus der Nähe zu beobachten. Doch jetzt geschah alles vor ihrer Nase – die langsam wachsenden Vampirzähne, die zum Vorschein kommenden gefährlichen gelben Vampiraugen und sie konnte sogar belauschen, wie das menschliche Gesicht das dämonische Aussehen annahm. Sie hörte die merkwürdigen Geräusche, die die Verwandlung begleiteten.

Dann kam die schlimmste Szene für Buffy, als die spitzen Vampirzähne sich in den Beutel bohrten, schließlich die Geräusche von gierigen, großen Schlucken und der Geruch des menschlichen Blutes. Die blonde Jägerin konnte nur an eins denken – vor ihrem Tod konnten die Opfer der Vampire die gleichen Geräusche hören, sie konnten ihr eigenes Blut riechen. Ab jetzt war es für sie nicht mehr so faszinierend. Nein, es war schon fast ekelhaft.

Der Vampir brauchte ein paar Minuten, um den Beutel zu leeren, dann blickte er sie mit bittenden Augen an. Buffy griff nach einem anderen Beutel, gab ihn ihrem Fahrgast, aber diesmal wollte sie die ganze Show nicht mit ansehen. „Bald erreichen wir unser Reiseziel“, murmelte sie, als sie den Wagen erneut startete.

*****

Der braunhaarige Vampir saß immer noch an derselben Stelle, an der er zu sich gekommen war. Den Pfeil der Jägerin hielt er in seiner Hand und starrte ihn mit leerem Blick an. Alles, was in den letzten Stunden geschah, war also Realität. Sein Sire, sein Childe existierten nicht mehr, sie wurden vernichtet. Sie wurden von einer Hure vernichtet, die sich Jägerin nannte.

„Jägerin“, zischte Angelus, sein bisher leerer Blick verschwand und seine Augen funkelten vor Wut. „Du wirst dafür zahlen. Ich werde dich verfolgen, dich finden und am Ende wirst du unter Qualen sterben.“ Bei den letzten Worten brach der Pfeil in seiner Faust in kleine Stücke, die er brüllend wegwarf.

„Oh, mein Gott“, er sah sich erschrocken um, als er wahrnahm, dass die kleine Stücke des Pfeils auf einer sonnenbeschienten Stelle gelandet waren. In der engen Gasse, wo er nach dem Kampf auf dem Erdboden gelandet war, gab es immer Schatten. Außer mittags. Er blickte hoch und musste feststellen, dass schon einige Stunden vergangen waren, seit er den Pfeil aus seinem Brustkorb herausgezogen hatte. Der Sonne stand schon fast im Zenit und der Schatten, der ihn bis jetzt vor den Sonnenstrahlen bewahrt hatte, würde in einigen Minuten verschwinden.

An die Wand gelehnt richtete er sich auf und auf wackeligen Beinen ging er in Richtung der Haustür. Seine Tour dauerte nur bis zur Ecke der Gasse, denn da musste er stehen bleiben und schnell überlegen, wie er trotz Sonnenlicht die letzten Schritte überwinden konnte.

„Ich bräuchte irgendetwas, was ich über meinen Kopf halten kann“, murmelte er kaum hörbar, „was ich als Schutz benutzen …“ Ein satanisches Lächeln erschien auf seinem Gesicht, er drehte sich um und mit den Schritten eines Raubtieres ging er in die Gasse zurück. „Oh, unser Obdachloser“, er näherte sich einem großen Karton. „Jetzt kann er uns die Gefälligkeit danken, dass wir so lang auf ihn aufgepasst haben. Hey, Alter“, er trat mit den Füßen in den Karton. „Es ist Zeit aufzuwachen. Ich brauche dein Haus. Hörst du mich nicht?“ er bückte sich, um hineinzuschauen. „Oh, wie ich es sehe, brauchst du Hilfe. Kein Problem“, er hob das Machwerk des Obdachlosen ziemlich leicht an, schüttelte es und wartete, bis die Überreste des armen Tropfes auf der Erde landeten. „Vielen Dank für deine Uneigennützigkeit, Alter. Ich verspreche dir, du wirst dein so genanntes Haus zurückbekommen. Wie ich das sehe“, er warf noch einen letzten Blick auf die Leiche, „wirst du es noch eine Weile lang brauchen.“

Er hob den dreckigen, stinkenden Pappendeckel über seinen Kopf und mit schnellen Schritten näherte er sich der Haustür. Obwohl er mit der Hilfe des Deckels vor den starken Sonnenstrahlen geschützt wurde, gab es mehrere Rauchwolken um den Vampir, als er die Tür erreichte, wo er den ekligen Karton fallen ließ und schnell die Tür hinter sich schloss.

„Ich bin zu Hause“, murmelte er nur für sich selbst. Er schloss seine Augen, roch in die Luft, um die Gerüche im Haus erkennen zu können. Der Duft der zwei Vampirinnen durchzog immer noch das ganze Hause. „Warum?“, flüsterte er und fing an das ganze Haus gründlich zu untersuchen.

Auf dem Boden im Flur fand er die erste merkwürdige Sache. Er kniete sich hin und berührte vorsichtig den Blutfleck vor seinen Füßen. „Jägerinnenblut“, murmelte er, als er seinen Finger abgeleckt hatte. „Sie muss eine schlimme Verletzung haben, wenn sie soviel Blut verloren hat.“ Er roch wieder in die Luft und folgte dem Blutgeruch ins Wohnzimmer. Der zusammengebrochene Barschrank, die zerbrochenen Glasscherben, die verstreuten Zigarren und Zigaretten lagen immer noch auf dem Boden. Und erst jetzt verstand er die ganze Situation.

Als er gestern nach Hause kam, als er die Mischung des Geruches von Blut, von Alkohol und von verbranntem Fleisch roch, dachte er, dass die Damen wieder eine Party veranstalteten. Mit Lust spielten sie mit ihrem armen, beseelten Spielzeug. Sie liebten es, wenn sie vor ihm Menschen zu Tode quälten, wenn er zusehen musste, wie die Menschen vor seinen Augen starben. Aber als er das verwüstete Wohnzimmer erblickt hatte, als er die Frauen nicht gefunden hatte, wusste sofort, dass etwas nicht stimmte. Dann bemerkte er die weibliche Gestalt auf der Leiter und obwohl sein sechster Sinn ihn vor der Gefahr warnte, beschäftigte er sich nicht damit. Er wollte einfach die Tatsache nicht akzeptieren, dass die Person, die den Mantel seines Sires trug, nicht Darla war.

„Warum?“, brüllte er wieder und zornig trat er zwischen die zerbrochenen Teile des Schrankes, die den Wandteppich vor der Tür des Spielraumes trafen. „Das ist doch …“, ungläubig näherte er sich dem Teppich. Er erreichte ihn, stieß ihn zur Seite und fand dahinter eine geöffnete Tür. „Das kann doch nicht wahr sein“, er rannte zu den Ketten, die bis jetzt sein Grandchilde festgehalten hatte. „Diese blöde Kuh hat ihn befreit und mitgenommen. Aber was will sie mit einem beseelten, gequälten, ausgehungerten Vampir machen? Das hat doch keinen Sinn. Egal…“, er verließ das Zimmer und ging in Richtung Küche. „Ich werde dich finden und töten, Jägerin. Und du Spikey“, er öffnete den Kühlschrank, „du wirst mit mir nach Hause zurückkehren. Die Schlampe“, er schlug die Kühlschranktür mit aller Kraft zu, „hat meinen ganzen Blutvorrat gestohlen!“

Fortsetzung???





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